George Orwell / Farm der Tiere
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Hintergrund: hell | dunkel






George Orwell


FARM DER TIERE



- Ausgewählte Auszüge -














    Die Auswahl der Auszüge zielt darauf ab, wichtige Aspekte des Buches hervorzuheben. Selbstverständlich ersetzen die Auszüge, so bedeutend sie auch sein mögen, nicht die vollständige Lektüre.







  – aus einer online verfügbaren Übersetzung –









  „....Nun, Genossen, wie ist die Natur dieses unseres Lebens? Seien wir ehrlich: unser Leben ist elend, mühevoll und kurz. Wir werden geboren, wir bekommen gerade soviel Futter, daß uns die Puste nicht ausgeht, und wer von uns dazu geeignet ist, wird gezwungen, bis zum letzten Deut seiner Kraft zu schuften; und just in dem Augenblick, wo es mit unserer Nützlichkeit aus ist, werden wir mit scheußlicher Grausamkeit hingeschlachtet. Wenn es erst einmal ein Jahr alt geworden ist, hat kein Tier in England mehr eine Vorstellung von Muße und Glück. Kein Tier in England ist frei. Das Leben eines Tieres ist Jammer und Sklaverei: das ist die nackte Wahrheit.


  Doch liegt dies einfach in der Ordnung der Natur? Liegt es daran, daß dieses unser Land zu arm ist, um denen, die es bevölkern, ein anständiges Leben bieten zu können? Nein, Genossen, und tausendmal nein! Englands Boden ist fruchtbar, sein Klima ist gut, es ist durchaus imstande, einer unvergleichlich größeren Zahl von Tieren als jetzt darauf wohnen Futter im Überfluß zu bieten. Unsere eine Farm hier würde ein Dutzend Pferde, zwanzig Kühe, Hunderte von Schafen ernähren - und alle würden sie in einer Bequemlichkeit und Würde leben, die wir uns jetzt kaum vorzustellen vermögen. Warum also leben wir in diesem elenden Zustand weiter? Weil uns fast das gesamte Produkt unserer Arbeit von Menschen gestohlen wird. Darin, Genossen, liegt die Antwort auf all unsere Probleme. Sie läßt sich in einem einzigen Wort zusammenfassen — Mensch. Der Mensch ist unser einzig wirklicher Feind. Laßt den Menschen von der Bildfläche verschwinden, und der Urgrund von Hunger und Überarbeitung ist ein für alle mal beseitigt.


  Der Mensch ist das einzige Geschöpf, das konsumiert, ohne zu produzieren. Er gibt keine Milch, er legt keine Eier, er ist zu schwach, den Pflug zu ziehen, er läuft nicht schnell genug, um Kaninchen zu fangen. Und doch ist er Herr über alle Tiere. Er schickt sie an die Arbeit und läßt ihnen dafür das bare Existenzminimum, damit sie ihm nicht verhungern, und den Rest behält er für sich. Unsere Arbeit ackert den Boden, unser Dung düngt ihn, und doch gibt es keinen unter uns, der mehr besäße als die nackte Haut. Ihr Kühe dort vor mir, wie viele tausend Gallonen Milch habt ihr in diesem letzten Jahr gegeben? Und was ist mit jener Milch geschehen, mit der robuste Kälbchen hätten großgezogen werden sollen? Jeder Tropfen davon ist die Kehlen unserer Feinde hinuntergeronnen. Und ihr Hennen, wie viele Eier habt ihr in diesem letzten Jahr gelegt, und aus wie vielen dieser Eier sind je Küken geschlüpft? Alle übrigen sind auf den Markt gewandert, um Jones und seinen Leuten Geld zu bringen. Und du, Kleeblatt, wo sind die vier Fohlen, die du geboren hast und die die Stütze und Erbauung deines Alters hätten sein sollen? Ein jedes wurde verkauft, als es ein Jahr alt war - du wirst keins von ihnen jemals mehr wiedersehen. Was hast du als Dank für deine vier Niederkünfte und all deine Feldarbeit je anderes erhalten als die kargen Rationen und einen Stall?


  Und nicht einmal das elende Leben, das wir fristen, darf seine natürliche Spanne währen. Ich, für mein Teil, murre nicht, denn ich gehöre zu den Glücklichen. Ich bin zwölf Jahre alt und habe über vierhundert Kinder gehabt. So verläuft ein natürliches Schweineleben. Doch am Ende entgeht kein Tier dem grausamen Messer. Ihr jungen Mastferkel, die ihr da vor mir sitzt, binnen einem Jahr wird ein jedes von euch sein Leben auf dem Hackklotz ausquieken. Dieses Grauen erwartet uns alle - Kühe, Schweine, Hühner, Schafe, jeden. Selbst den Pferden und Hunden steht kein besseres Schicksal bevor. Dich, Boxer, wird Jones an genau dem Tag, da deine mächtigen Muskeln erlahmen, dem Abdecker verkaufen, der dir die Kehle durchschneiden und dich für die Fuchshunde einkochen wird. Und was die Hunde betrifft, denen bindet Jones einen Ziegelstein um den Hals und ersäuft sie im nächstbesten Teich, wenn sie alt werden und die Zähne verlieren.


  Ist es also nicht glasklar, Genossen, daß alle Übel dieses unseres Lebens der Tyrannei der Menschen entspringen? Werdet nur erst den Menschen los, und die Produkte unserer Arbeit gehören uns. Beinahe über Nacht könnten wir reich und frei werden. Was, also, müssen wir tun? Nun, natürlich Tag und Nacht mit Leib und Seele auf den Sturz des Menschengeschlechts hinarbeiten! Das ist meine Botschaft an euch, Genossen: Rebellion! Ich weiß nicht, wann diese Rebellion kommen wird, vielleicht in einer Woche oder in hundert Jahren, doch ich weiß, so gewiß, wie ich dieses Stroh hier unter meinen Füßen sehe, daß früher oder später Gerechtigkeit geübt werden wird. Darauf, Genossen, heftet während der euch noch verbleibenden, kurzen Lebensspanne fest den Blick! Und vor allem, gebt diese meine Botschaft jenen weiter, die nach euch kommen, damit zukünftige Generationen den Kampf bis zum siegreichen Ende weiterführen.


  Und vergeßt nicht, Genossen, nie darf eure Entschlußkraft ins Wanken geraten. Kein Argument darf euch irreleiten. Hört nie auf jene, die euch erzählen, der Mensch und die Tiere hätten ein gemeinsames Interesse, der Wohlstand des einen bedinge den Wohlstand der anderen. Lauter Lügen. Der Mensch die nt einzig und allein seinem eigenen Interesse. Und unter uns Tieren soll vollkommene Eintracht, vollkommene Genossenschaft im Kampf herrschen. Alle Menschen sind Feinde. Alle Tiere sind Genossen.“



  „...Ich habe nur noch wenig zu sagen. Ich wiederhole bloß: denkt stets an eure Pflicht, dem Menschen und all seinem Tun feindlich gegenüberzustehen. Alles was auf zwei Beinen einhergeht, ist ein Feind. Alles was auf vier Beinen einhergeht oder Flügel hat, ist ein Freund. Und denkt auch daran, daß wir in unserem Kampf gegen den Menschen ihm nie gleich werden dürfen. Auch wenn ihr ihn besiegt habt, verfallt nicht in seine l Laster. Kein Tier darf je in einem Haus wohnen, l oder in einem Bett schlafen, oder Kleider tragen, l oder Alkohol trinken, oder Tabak rauchen, oder Geld anrühren, oder Geschäfte machen. Der Mensch hat nur schlimme Gewohnheiten. Und vor allem darf ein Tier nie seinesgleichen unterdrücken. Schwach oder stark, schlau oder schlicht, wir alle sind Brüder. Kein Tier darf je ein anderes töten. Alle Tiere sind gleich.“


...Diesen Tag gilt’s zu erringen,
Sterben wir auch, eh er naht;
Kuh und Roß und Gans und Truthahn
Müssen säen der Freiheit Saat...











  ...Diese drei hatten die Lehren Old Majors zu einem kompletten Denksystem ausgearbeitet, dem sie den Namen Animalismus gaben. Mehrere Nächte in der Woche hielten sie, wenn Mr. Jones schlafen gegangen war, geheime Versammlungen in der Scheune ab und erläuterten den übrigen die Prinzipien des Animalismus. Anfangs stießen sie auf viel Dummheit und Wurstigkeit. Einige der Tiere redeten von der Loyalitätspflicht gegenüber Mr. Jones, den sie als ‚Herrn’ bezeichneten, oder sie machten grundsätzliche Bemerkungen wie: ‚Mr.Jones füttert uns. Wenn er fort wäre, würden wir verhungern.’ Andere stellten solche Fragen wie: ‚Warum sollen wir uns Gedanken darüber machen, was nach unserem Tod passiert?’ oder ‚Wenn diese Rebellion sowieso kommt, was macht es da für einen Unterschied, ob wir für sie arbeiten oder nicht?’, und die Schweine hatten alle Mühe, ihnen klarzumachen, daß dies dem Geist des Animalismus zuwiderliefe. Die allerdümmsten Fragen stellte Mollie, die Schimmelstute. Ihre erste Frage an Schneeball lautete: „Wird es nach der Rebellion auch noch Zucker geben?“
  „Nein“, sagte Schneeball fest. „Wir verfügen nicht über die Mittel, um auf dieser Farm Zucker herzustellen. Außerdem brauchst du gar keinen Zucker. Du wirst soviel Hafer und Heu haben, wie du nur möchtest.“
  „Und werde ich dann auch noch die Bänder in meiner Mähne tragen dürfen?“ fragte Mollie.
  „Genossin“, sagte Schneeball, „diese Bänder, an denen du so hängst, sind das Abzeichen der Knechtschaft. Begreifst du denn nicht, daß Freiheit mehr wert ist als bunte Bänder?“
  Mollie gab ihm Recht, doch sehr überzeugt klang es nicht.


  Noch härter war der Kampf, den die Schweine ausfechten mußten, um den Lügen entgegenzuwirken, die Moses, der zahme Rabe, verbreitete. Moses, Mr. Jones’ Augenstern, war ein Spitzel und Ohrenbläser, aber auch ein erzgeschickter Redner. Er behauptete, von der Existenz eines geheimnisvollen Landes mit Namen Kandiszucker-Berg zu wissen, in das alle Tiere nach ihrem Tod eingingen. Es lag irgendwo im Himmel droben, ein Stückchen weit über den Wolken, sagte Moses. In Kandiszucker-Berg war alle Tage Sonntag, der Klee grünte immerfort und an den Hecken wuchsen Würfelzucker und Ölkuchen. Die Tiere haßten Moses, weil er ein Klatschmaul war und nichts arbeitete, aber ein paar von ihnen glaubten doch an Kandiszucker-Berg, und die Schweine mußten heftigst debattieren, um sie davon zu überzeugen, daß es solch einen Ort überhaupt nicht gab.



  ...Dann klemmte sich Schneeball (denn Schneeball konnte am besten schreiben) einen Pinsel zwischen die beiden Klauen seiner Schweinshaxe, übermalte das Wort HERREN-FARM auf dem obersten Torbalken und schrieb dafür FARM DER TIERE hin. So sollte von nun an der Name der Farm lauten.


  Sie erklärten, daß es den Schweinen im Verlauf ihres dreimonatigen Studiums gelungen sei, die Prinzipien des Animalismus auf Sieben Gebote zu reduzieren. Und diese Sieben Gebote würden jetzt an die Wand geschrieben werden; sie würden das unabänderliche Gesetz bilden, nach dem hinfort alle Tiere auf der Farm der Tiere leben müßten.


DIE SIEBEN GEBOTE

  1. Alles was auf zwei Beinen geht, ist ein Feind.
  2. Alles was auf vier Beinen geht oder Flügel hat, ist ein Freund.
  3. Kein Tier soll Kleider tragen.
  4. Kein Tier soll in einem Bett schlafen.
  5. Kein Tier soll Alkohol trinken.
  6. Kein Tier soll ein anderes Tier töten.
  7. Alle Tiere sind gleich.





  Den ganzen Sommer über lief die Arbeit auf der Farm wie am Schnürchen. Die Tiere waren so glücklich, wie sie es nie für möglich gehalten hätten. Jeder Bissen Futter war ein echter Hochgenuß, jetzt wo es wirklich ihr eigenes Futter war, von ihnen selbst und für sie selbst produziert und nicht mehr von einem mißgünstigen Herrn widerwillig an sie ausgeteilt. Nun, da die nichtswürdigen, schmarotzenden Menschen fort waren, hatte jeder mehr zu fressen.


  Doch jeder arbeitete nach seinem Vermögen. Die Hühner und Enten zum Beispiel gewannen bei der Ernte durch das Auflesen der verstreuten Körner fünf Scheffel Getreide. Niemand stahl, niemand murrte über seine Rationen, das Streiten und Beißen und die Eifersüchteleien, die früher zur Tagesordnung gehört hatten, waren beinahe verschwunden. Niemand drückte sich - oder fast niemand.








  ...Napoleon bestieg jetzt, mit den Hunden im Gefolge, jenen erhöhten Teil des Fußbodens, von dem aus Major einst seine Rede an die Tiere gehalten hatte. Er verkündete, daß von nun ab Schluß sei mit den Sonntagvormittag-Treffen. Sie seien unnütz, sagte er, und schiere Zeitverschwendung. In Zukunft würden alle Fragen, die den Farmbetrieb anlangten, von einem Schweine-Sonderkomitee geregelt werden, dem er persönlich vorzusitzen gedenke. Sie würden geheim tagen und ihre Entschließungen anschließend den übrigen mitteilen.


  Nachher wurde Schwatzwutz auf der Farm herumgeschickt, um den anderen die neuen Einrichtungen zu erklären.
  „Genossen“, sagte er, „ich hoffe doch zuversichtlich, daß jedes Tier hier das Opfer zu würdigen weiß, das Genosse Napoleon bringt, indem er sich diese Extraarbeit aufbürdet. Glaubt nicht, Genossen, daß Führerschaft ein Vergnügen ist! Im Gegenteil, sie bedeutet eine tiefe und schwere Verantwortung. Keiner glaubt unverbrüchlicher als Genosse Napoleon daran, daß alle Tiere gleich sind. Er ließe euch nur allzugerne eure eigenen Entscheidungen treffen. Doch manchmal könntet ihr die falschen Entscheidungen treffen, Genossen, und wo kämen wir da hin?“


  ...Dies, sagte Schwatzwutz, sei etwas, das man Taktik nenne. Er wiederholte mehrmals: „Taktik, Genossen, Taktik!“, hopste dabei herum und wackelte mit einem fröhlichen Lachen mit dem Schwanz. Die Tiere waren sich nicht schlüssig, was das Wort bedeutete, aber Schwatzwutz sprach so überzeugend, und die drei Hunde, die ihn gerade zufällig begleiteten, knurrten so bedrohlich, daß sie seine Erklärung ohne weitere Fragen akzeptierten.



  Dieses ganze Jahr hindurch arbeiteten die Tiere wie Sklaven. Doch sie waren glücklich bei ihrer Arbeit; sie scheuten keine Mühen und Opfer, denn sie wußten genau, daß alles, was sie taten, zu ihrem eigenen Nutzen geschah und zu dem ihrer Artgenossen, die nach ihnen kommen würden, nicht aber zum Nutzen einer Bande arbeitsscheuer, diebischer Menschen.



  „...Wir haben die Leintücher von den Betten im Farmhaus entfernt und schlafen zwischen Decken. Und es sind äußerst bequeme Betten! Aber auch nicht bequemer, als es für uns nötig ist, das laßt euch gesagt sein, Genossen, in Anbetracht all der geistigen Arbeit, die wir derzeit leisten müssen. Ihr wollt uns doch nicht unserer Ruhe berauben, oder, Genossen? Ihr wollt doch nicht, daß wir zu müde sind, um unseren Pflichten nachzukommen? Es wünscht sich doch bestimmt keiner von euch Jones zurück?“


  Die Tiere versicherten ihn in diesem Punkt sogleich, und davon, daß die Schweine in den Betten im Farmhaus schliefen, war keine Rede mehr. Und als einige Tage später verkündet wurde, daß die Schweine von nun an eine Stunde später aufstehen würden als die anderen Tiere, da gab es auch darüber keine Beschwerden.








  ...Die Tiere kuschelten sich wortlos um Kleeblatt. Die Hügelkuppe, auf der sie lagen, gewährte ihnen eine n weiten Ausblick über das Land. Der größte Teil der Farm der Tiere lag vor sie hingebettet - die lange Weide, die sich bis zur Hauptstraße dehnte, die Wiese, das Gehölz, die Tränke, die gepflügten Felder, wo der junge Weizen dicht und grün stand, und die roten Dächer der Farmgebäude mit dem Rauch, der sich aus ihren Schornsteinen kräuselte. Es war ein klarer Frühlingsabend. Die waagrecht einfallenden Strahlen der Sonne vergoldeten das Gras und die knospenden Hecken. Nie war den Tieren die Farm - und mit einiger Überraschung entsannen sie sich, daß es ihre eigene Farm, jeder Zoll davon ihr Eigentum war - so begehrenswert erschienen. Als Kleeblatt die Hügelflanke hinunterblickte, traten ihr Tränen in die Augen. Hätte sie ihre Gedanken aussprechen können, würde sie gesagt haben, daß es dies nicht war, was sie erstrebt hatten, als sie vor Jahren darangegangen waren, den Sturz der menschlichen Rasse zu betreiben. Diese Greuelszenen und dieses Gemetzel waren es nicht, dem sie in jener Nacht freudig entgegengesehen hatten, als sie Old Major zum erstenmal zur Rebellion aufstachelte. Wenn sie selbst je ein eigenes Bild von der Zukunft gehabt hatte, so war es das einer von Hunger und Peitsche befreiten Gemeinschaft von Tieren gewesen, wo alle gleich waren, jeder nach seinem Vermögen arbeitete, und wo der Starke den Schwachen beschützte, so wie sie, in der Nacht von Majors Rede, mit ihrem Vorderlauf die Brut Entlein beschützt hatte.




  Dies ganze Jahr hindurch arbeiteten die Tiere sogar noch härter, als sie es im Vorjahr getan hatten. Die Windmühle mit doppelt so starken Mauern wie vorher wiederaufzubauen und sie zum festgesetzten Termin zu vollenden, dazu noch die reguläre Farmarbeit, das war schon eine ungeheure Mühe. Es gab Tage, da schien es den Tieren, als arbeiteten sie länger und stünden dabei nicht besser im Futter als zu Jones’ Zeiten. Sonntagmorgens las ihnen dann Schwatzwutz von einem langen Papierstreifen, den er mit seiner Schweinshaxe auf dem Boden festhielt, Zahlenkolonnen vor, die bewiesen, daß die Produktion von Futtermitteln jeder Art - je nachdem - um 200 Prozent, um 300 Prozent oder um 500 Prozent angestiegen war. Die Tiere sahen keinen Grund, ihm nicht zu glauben, zumal sie sich nicht mehr sehr deutlich daran erinnern konnten, wie die Zustände vor der Rebellion gewesen waren. Trotzdem spürten sie an manchen Tagen, daß sie lieber etwas weniger Zahlen und etwas mehr Futter gehabt hätten.


  In seinen Reden sprach Schwatzwutz mit tränenüberströmten Backen von Napoleons Weisheit, seiner Herzensgüte und der tiefempfundenen Liebe, die er für alle Tiere allerorten hege, auch und ganz besonders für jene bedauernswerten Geschöpfe, die auf den anderen Farmen noch immer in Unwissenheit und Sklaverei lebten.








  Unterdessen war das Leben hart. Der Winter war so streng wie der letzte und das Futter sogar noch knapper. Abermals wurden alle Rationen gekürzt, nur die der Schweine und Hunde nicht. Eine allzu starre Gleichheit der Rationen, erklärte Schwatzwutz, würde den Prinzipien des Animalismus widersprochen haben. Jedenfalls bereitete es ihm keinerlei Schwierigkeiten, den anderen Tieren zu beweisen, daß es in Wirklichkeit gar keinen Futtermangel gab, auch wenn es scheinbar so aussah. Vorläufig sei es freilich für nötig befunden worden, eine Anpassung der Rationen vorzunehmen (Schwatzwutz sprach stets von ‚Anpassung’ und niemals von ‚Kürzung’), doch im Vergleich mit den Zeiten von Jones’ Herrschaft sei die Verbesserung noch immer enorm. Indem er die Zahlen mit schriller, schneller Stimme verlas, bewies er ihnen im einzelnen, daß sie mehr Hafer, mehr Heu, mehr Rüben hatten als zu Jones’ Zeiten, daß sie weniger Stunden arbeiteten, daß ihr Trinkwasser von besserer Qualität war, daß sie länger lebten, daß ein größerer Prozentsatz ihrer Jungen das Kleinkindalter überstand, und daß sie mehr Stroh in ihren Ställen und weniger unter Flöhen zu leiden hatten. Die Tiere glaubten jedes Wort davon. Ehrlich gesagt war ihnen Jones und alles, wofür er stand, beinahe aus dem Gedächtnis entschwunden. Sie wußten, daß das Leben heutzutage rauh und karg war, daß sie oft hungrig waren und oft froren und daß sie für gewöhnlich arbeiteten, wenn sie nicht gerade schliefen. Aber in den alten Tagen war es zweifellos schlimmer gewesen. Daran glaubten sie mit Freuden. Außerdem waren sie in jenen fernen Tagen Sklaven gewesen, und jetzt waren sie frei, und das machte den großen Unterschied aus, wie Schwatzwutz nie müde wurde hervorzuheben.



  Im April wurde die Farm der Tiere zur Republik ausgerufen, und es stand an, einen Präsidenten zu wählen. Es gab nur einen Kandidaten, Napoleon, der dann auch einstimmig gewählt wurde.



  Mitten im Sommer tauchte nach mehreren Jahren der Abwesenheit plötzlich Moses, der Rabe, wieder auf der Farm auf. Er war ganz der alte, arbeitete noch immer nicht und sprach wie eh und je vom Kandiszucker-Berg. Er pflegte sich auf einen Stubben zu hocken, mit den schwarzen Flügeln zu flappen und stundenweise jedem etwas vorzuerzählen, der es nur hören mochte. „Dort oben, Genossen“, pflegte er feierlich zu sagen, indem er mit seinem langen Schnabel in den Himmel wies - „dort oben, gerade auf der anderen Seite dieser dunklen Wolke, die ihr da seht - dort liegt Kandiszucker-Berg, das glückliche Land, wo wir armen Tiere auf ewig von unseren Mühen ausruhen sollen!“
  Er behauptete sogar, auf einem seiner Höhenflüge dort gewesen zu sein und die immerwährenden Kleefelder und den auf den Hecken wachsenden Ölkuchen und Würfelzucker gesehen zu haben. Viele unter den Tieren glaubten ihm. Ihr Leben, sannen sie so, bestünde jetzt bloß aus Hunger und Mühsal; wäre es da nicht nur recht und billig, daß irgendwo anders eine bessere Welt existiere? Schwer einzuschätzen allerdings war die Einstellung der Schweine Moses gegenüber. Sie erklärten alle abschätzig, seine Geschichten über Kandiszucker-Berg seien Lügen und erlaubten ihm trotzdem, auf der Farm zu bleiben, ohne zu arbeiten und mit einer täglichen Zuteilung von einem achtel Liter Bier.








  ...Verzweifelt beschworen die Tiere die beiden Pferde, die den Wagen zogen, anzuhalten. „Genossen, Genossen!“ schrien sie. „Fahrt nicht euren eigenen Bruder in den Tod!“ Doch die dummen Biester, die zu blöde dazu waren, das Geschehen zu begreifen, legten bloß die Ohren an und steigerten ihr Tempo noch. Boxers Gesicht erschien nicht mehr am Fenster. Zu spät dachte jemand daran, vorauszulaufen und das Gittertor mit den fünf Querstangen zu schließen, im nächsten Moment war der Wagen schon hindurchgerollt und verschwand rasch die Straße hinunter. Boxer sah man niemals mehr wieder.


  ...Doch von dem Luxus, von dem Schneeball die Tiere einst zu träumen gelehrt hatte, von den Ställen mit elektrischem Licht und fließend warm und kalt Wasser und von der Drei- Tage-Woche war nicht mehr die Rede. Napoleon hatte solche Ideen als dem Geiste des Animalismus zuwiderlaufend angeprangert. Das wahre Glück, sagte er, liege in harter Arbeit und kargem Leben.
  Irgendwie hatte es den Anschein, als sei die Farm reicher geworden, ohne doch die Tiere selbst reicher zu machen - ausgenommen natürlich die Schweine und Hunde. Das lag vielleicht zum Teil daran, daß es so viele Schweine und so viele Hunde gab. Es war nun etwa nicht so, daß diese Tiere nicht gearbeitet hätten, nur taten sie das eben auf ihre Weise. Es steckte, wie Schwatzwutz nie müde wurde zu erklären, unendlich viel Arbeit in der Überwachung und Organisation der Farm. Und vieles von die ser Arbeit begriffen die anderen Tiere nicht, weil sie zu dumm dazu waren.








  ...Benjamin fühlte, wie ihn eine Nase an der Schulter stupste. Er sah sich um. Es war Kleeblatt. Ihre alten Augen blickten trüber denn je. Wortlos zupfte sie ihn sanft an der Mähne und führte ihn zum Ende der großen Scheune, wo die Sieben Gebote angeschrieben standen. Sie verharrten dort eine oder zwei Minuten lang und schauten auf die geteerte Wand mit den weißen Buchstaben.


  „Mein Augenlicht läßt nach“, sagte sie schließlich. „Selbst als ich noch jung war, habe ich nicht lesen können, was da geschrieben stand. Aber mir scheint, daß diese Wand irgendwie anders aussieht. Sind die Sieben Gebote noch dieselben wie einst, Benjamin?“


  Dies eine Mal fand sich Benjamin dazu bereit, mit seiner Regel zu brechen, und er las ihr vor, was auf der Wand geschrieben stand. Jetzt war da bloß noch ein einziges Gebot. Es lautete:


ALLE TIERE SIND GLEICH
ABER MANCHE SIND GLEICHER





  ....Und jetzt stand außer Frage, was mit den Gesichtern der Schweine passiert war. Die Tiere draußen blickten von Schwein zu Mensch und von Mensch zu Schwein, und dann wieder von Schwein zu Mensch; doch es war bereits unmöglich zu sagen, wer was war.















 Du, der du für alles einen Grund weißt,
sag mir, weshalb tust du das alles?





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